Mitwirkung der Jägerinnen und Jäger bei der Wolfsregulation
Im Kanton St. Gallen sind die Pächterinnen und Pächter der im Abschussperimeter liegenden Jagdreviere befähigt, bei der Regulation des Calfeisental-Wolfsrudels mitzuwirken. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft die Jägerinnen und Jäger in der Schweiz bei der Wolfsregulierung miteinbezogen werden, wird wohl immer grösser.

Für die Wolfsregulation ist zwar grundsätzlich die Wildhut zuständig, der Kanton St. Gallen hat bei der Abschussverfügung von drei Jungtieren des Calfeisental-Wolfsrudels, welche am 23. August 2023 erteilt wurde, nun aber von einer zusätzlichen Herangehensweise Gebrauch gemacht: Pächterinnen und Pächter der im Abschussperimeter liegenden Jagdreviere sind befähigt, bei der Regulierung der drei Wolfswelpen mitzuwirken. Die Kantone haben die Möglichkeit, jagdberechtigte Personen bei der Regulation miteinzubeziehen.
Die allgemeine Ausgangslage
Die Wolfspopulation in der Schweiz nimmt stetig zu. Zurzeit leben in der Schweiz 31 Wolfsrudel, neun davon sind grenzüberschreitend auch in den Nachbarländern Italien und Frankreich unterwegs (Stand: September 2023). Mit der Zahl der Wölfe stieg vor allem in den vergangenen Jahren aber auch die Zahl der Nutztierrisse. Im Jahr 2022 wurden in der Schweiz 1480 Nutztiere durch Wolfsangriffe getötet. Angesichts der stetig steigenden Herausforderungen für die Alpwirtschaft entschied der Bundesrat in seiner Sitzung vom 2. Juni 2023, mit der Teilrevision der Jagdverordnung den Abschuss von Wölfen zu erleichtern. «Damit soll die Situation für die betroffenen Gebiete entschärft werden, bis das revidierte Jagdgesetz in Kraft tritt», hiess es in einer Medienmitteilung des Bundesamts für Umwelt (BAFU).
Mit der Teilrevision wurde die Schadenschwelle gesenkt. Bei acht Nutztierrissen (früher zehn) können die Kantone beim BAFU die Regulierungsabschüsse für Rudel beantragen. In den Regionen mit mehr als einem Rudel dürfen die Kantone stärker regulieren als bisher. Die Schadensgrenze bei grossen Nutzieren (Rinder, Pferde, Lamas oder Alpakas) liegt neu bei einem Tier (früher zwei). Es zählen dort nicht nur getötete Tiere, sondern auch schwer verletzte Tiere.
Vergrämung erwirken
Auf der Alp Gafarra im Kanton St. Gallen wurden bis Mitte August über acht Schafe durch Wolfsangriffe getötet. Die Risse erfolgten, obwohl die Alp mit Zäunen und Herdenschutzhunden geschützt war, heisst es in einer Medienmitteilung des Kantons St. Gallen. Die Risse konnten dem Calfeisental-Wolfsrudel zugeordnet werden. Die Alp Gafarra liegt mitten in ihrem Streifgebiet. Das Rudel hatte in diesem Jahr zum zweiten Mal Nachwuchs. Anfang Sommer wurden sechs Welpen nachgewiesen.
«Wegen grossem Schaden an geschützten Nutztieren hat der Kanton St. Gallen beim Bund einen Antrag für eine Rudelregulation des Calfeisental-Rudels eingereicht, welcher vom BAFU bewilligt und danach vom Kanton St. Gallen verfügt wurde», erklärt Simon Meier, Abteilungsleiter Jagd beim Amt für Natur, Jagd und Fischerei. Gemäss der ab dem 1. Juli 2023 geltenden Teilrevision der Jagdverordnung erfolgt eine Rudelregulation über den Abschuss von Jungtieren. Es darf höchstens die Hälfte der Jungtiere entnommen werden. So verfügte der Kanton St. Gallen am 23. August die Entnahme von drei der sechs Welpen des Calfeisental-Rudels. Die Abschussbewilligung gilt bis am 31. März 2024.
Durch die Abschüsse soll neben der Bremsung des Populationswachstums auch eine Vergrämung des Rudels erzielt werden. Dass dies wohl Erfolge erzielen kann, zeigt sich am Beispiel des Kantons Graubünden. Gemäss einem Beitrag der «SRF»-Sendung «10 vor 10» vom 16. August wurden weniger als halb so viele Risse gezählt wie zur gleichen Zeit im Jahr 2022. Ob es an der Entnahme von Wölfen liegt oder am gestiegenen Herdenschutz, zum Beispiel durch Herdenschutzhunde, sei gemäss dem Amt für Jagd und Fischerei des Kantons Graubünden noch nicht klar.
Einbezug von Jägern wird getestet
Die Wildhut des Kantons St. Gallen wird in verschiedenen Situationen versuchen, die drei Jungtiere des Calfeisental-Rudels zu erlegen. «Die Revierpächterinnen und -pächter sind aber befähigt, sollte sich auf der regulären Jagd die Situation ergeben, dass auch sie die Welpen erlegen können», sagt Simon Meier. Diese wurden an zwei Veranstaltungen ausgebildet und erhielten ein Faktenblatt mit den wichtigsten Informationen und Weisungen zum Vorgehen. Für alle involvierten Personen besteht eine Meldepflicht. «Kommuniziert wird von den Jägern zu den Wildhütern auf direktem Weg, danach erfolgt die Kommunikation an alle Jagdreviere über einen Chat unter strikter Berücksichtigung der Diskretion und des Personenschutzes», erklärt der Abteilungsleiter.
Die Möglichkeit des Mitwirkens von Jagdpächterinnen und -pächtern wurde in der Abschussverfügung vom 23. August 2023 mitverfügt. Gemäss dem Amt für Natur, Jagd und Fischerei werden sich die Einsätze der Wildhut vor allem auf die Nacht beschränken. «Bei Tag sind dann wieder die Jäger in den Revieren», so Simon Meier. «Die Idee dahinter ist, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Abschüsse auch durchzuführen. Dazu gehört auch der Einbezug der Jägerschaft», führt der Abteilungsleiter aus. Die Mitwirkung der Jäger basiert auf absoluter Freiwilligkeit und Eigenverantwortung. «In der nächsten Revision der eidgenössischen Jagdverordnung werden die Vorgaben für Wolfsabschüsse voraussichtlich nochmals gelockert. Deshalb wird der Einbezug der Jäger in die Wolfsregulierung getestet, so dass auch in Zukunft die Revierpächterinnen und -pächter im Vollzug mithelfen können.»
Das Calfeisental liegt auf Gemeindegebiet von Pfäfers im äussersten Süden des Kantons St. Gallen. (Bild: Madeleine/stock.aodbe.com)
Professionelles Vorgehen gefordert
Die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft die Jägerinnen und Jäger in der Schweiz bei der Wolfsregulierung miteinbezogen werden, wird wohl immer grösser. Bei der Regulation der Jungtiere ist die Entnahme nur in einer Rudelsituation erlaubt. Das Ansprechen der Jungtiere ist daher für die Pächterinnen und Pächter deutlich einfacher, als wenn ein bestimmter Einzelwolf entnommen werden müsste.
Verschiedene Kantone prüfen zurzeit die Möglichkeit, jagdberechtigte Personen bei der Regulation miteinzubeziehen. Gemäss Simon Meier wird von den Jägerinnen und Jägern dabei eine absolut professionelle Arbeitsweise erwartet. «Dazu gehört vor allem das Bewusstsein, dass es sich grundsätzlich um eine geschützte Art handelt und dass mit entsprechender Korrektheit gearbeitet wird.»
Dass Jägerinnen und Jäger Wölfe mitregulieren, ist in der Schweiz sozusagen ein Novum. Der bisher einzige bekannte Fall ist, als im vergangenen Jahr ein Wolf im Kanton Graubünden von einem Jäger legal erlegt wurde. Für den Vollzug der Abschussverfügung wurden ergänzend zu den Mitarbeitenden des Amts für Jagd und Fischerei Graubünden nämlich auch speziell bezeichnete, ortskundige Jagdberechtigte für die Entnahme des Wolfs während der ordentlichen Jagd berechtigt. «Alles, was neu ist, kann auch in gewissen Kreisen auf Widerstand treffen», so Simon Meier. Aus diesem Grund wird eine absolute Diskretion zum Schutz der durchführenden Person gefordert.
Vertrauen und Kommunikation sind zentral
Die Meinungen der Jägerinnen und Jäger wurden an den Informationsanlässen gemäss dem Amt für Natur, Jagd und Fischerei des Kantons St. Gallen ausführlich eingeholt und diskutiert. Diejenigen Pächterinnen und Pächter, die wollen und sich befähigt fühlen, dürfen freiwillig bei der Regulation mitwirken. «Vor allem das Vertrauen und die Kommunikation sind zentral. Für die Wildhut sind alle aktuellen Nachweise der Wölfe wichtig, so dass Einsätze geplant werden können», sagt Simon Meier. «Die Wolfsnachweise werden auch an die Reviere weitergeleitet. Sollte es zu einem Abschuss durch eine Revierpächterin oder einen Revierpächter kommen, gewährleisten auch die Wildhut und das Amt höchste Diskretion.»
Text: Nathalie Homberger
Hauptbild: Reiner Bernhardt
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