Ist Jagen ohne Weidmannsheil verlorene Zeit?
Die Jagd hat ihre eigenen Regeln. Nicht alles ist machbar. Einsichten von Andreas Hausser.

Wer will nicht den roten Bock erbeuten? Wer möchte nicht den kapitalen Rothirsch erlegen? Oder eine grosse Strecke auf der Treibjagd erzielen? Doch Weidwerk ist mehr. Der jagdliche Erfolg ist eher die Ausnahme. Wer noch den Anblick von Wild, das nicht schussbar ist, die Ruhe, die Beschaulichkeit und das intensive Eintauchen in die Natur geniessen kann, für den wird die Jägerei noch auf lange Zeit schöne Erlebnisse und Freuden bieten.
Messbarer Erfolg für geleisteten Aufwand ist ein Zeichen für effektiven Einsatz an Zeit und Kosten. Was im Bereich von Produktion, Zeitmanagement und Dienstleistung noch angehen mag, wird oft auch auf die Jagd übertragen. Eigenes Versagen wird selten als solches erkannt und der Grund für «Misserfolge» liegt entweder bei anderen Personen oder den besonderen Umständen.
Natur erleben
Wer Jagen mit Schiessen verwechselt, geht ohnehin von völlig falschen Voraussetzungen aus. Selbst der «schärfste» Jäger geht mit blanken Läufen heim, wenn die Umstände gegen ihn waren. Einen bestimmten Wildbestand vorausgesetzt, kann Erfolglosigkeit mit der Schonzeit verglichen werden. Der Unterschied besteht lediglich darin, während der ganzen Jagdzeit zwar schiessen zu dürfen, es aber nicht immer zu können.
Das Naturerlebnis geniesst allenfalls ausserhalb der Jagdzeit einen gewissen Stellenwert. Sobald aber die Jagd aufgeht, ist der Blick durch das Fernglas weitaus «zielgerichteter». Im Niederwildrevier wird vor Aufgang der Jagd nach Rehen, danach nach «Böcken» Ausschau gehalten.
Der Jäger sollte sich eine ähnliche «Unschuld» bewahren wie der nichtjagende Naturfreund. Wenn das Naturerlebnis im Vordergrund steht, kann es am Ende einer jagdlichen Unternehmung eigentlich keine Enttäuschung geben. Kein Wild gesehen oder erlegt zu haben, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass keines vorhanden war.
Rentabilität ist Trumpf
Schon jede Fahrt ins heimische Revier soll sich lohnen. Umso mehr ist dies bei Reisen in ferne Länder der Fall. Je nach Entfernung und Jagdland machen die reinen Fahrtkosten einen nicht unbeträchtlichen Teil des finanziellen Aufwandes aus, die durch Lizenzen, Führungs- und Quartiergebühren noch «ergänzt» werden. Die erlegungsabhängigen Kosten, wie Trophäentransport, Präparation und so weiter fallen dagegen nur im Erfolgsfall an.
Die Zeiten, in denen an der Jagd noch «verdient» werden konnte, sind endgu?ltig vorbei. Die Frage ist nur noch, wie viel draufzulegen ist. Dabei kann es, neben dem Geld, auch die fu?r die Jagd aufgewendete Zeit sein. Es ist gar nicht so selten, dass nach einer Fahrt von mehr als einer Stunde die jagdlich nutzbare Zeit eines Abendansitzes aufgrund von Joggern, Reitern, Bikern, Hundeführern, Pilz- und Beerensuchern nur wenige ruhige Minuten beträgt. Soweit es sich um bäuerliche Reviere handelt, wirkt sich die Verlagerung der landwirtschaftlichen Aktivitäten in die Abend- und Nachtstunden zum Teil sehr gravierend aus. Die ganze Palette der Landarbeit, von Säen bis Ernten, Pflügen und Düngen, Grubbern, Silieren und Pressen kann während eines einzigen Ansitzes anfallen. Die massive Anwendung von Spritzmitteln aller Art und die Ausbringung von Gülle, deren Ausmass in manchen Fällen jenseits jeder Düngungsfunktion liegt, müssen jede Jägerin und jeder Jäger nachdenklich stimmen. Für den Landwirt stellt sich die Frage nach der Rentabilität ebenfalls, auch wenn diese in vielen Fällen zu Lasten naturgerechter Anbaumethoden geht. Manche der zunächst als gewinnbringend aufgegriffenen Arbeitsgänge stellen sich langfristig als nur noch schwer zu korrigierende Fehler heraus.
Der Vorteil des Reviersystems
Verglichen mit dem (von manchen Weidgenossen favorisierten) Lizenzsystem, bringt das Reviersystem schon durch die Überschneidung der Jagdzeiten auf die unterschiedlichsten Wildarten eine kaum zu überbietende Abwechslung, die nur noch genutzt zu werden braucht, um ständig aus dem Vollen zu schöpfen. Häufigste Ursache für Unzufriedenheit ist die Geringschätzung des Niederwildes, soweit es kleiner ist als Rehwild. Wer, beispielsweise, widmet sich während der Jagd auf den Rehbock, den Ringeltauben oder Jungfüchsen? Wer beschiesst überhaupt einen Fuchs während der Sommermonate? Wer ein Revier betreut, in dem überhaupt nichts mehr an jagdbarem Wild vorkommt, der muss sich unter Umständen fragen, ob er es so übernommen hat oder selbst für den maroden Zustand verantwortlich ist. Die Zustände einem oder allen Reviernachbarn anlasten zu wollen, ist vielleicht am einfachsten, muss aber keinesfalls immer zutreffen. Gerade Neupächter lassen oftmals an ihrem Vorgänger kein gutes Haar, vergessen aber dabei, dass sich die anfänglich geringen Revierkenntnisse jagdlich auswirken müssen. Ein typisches Beispiel ist die Bejagung von Waldrevieren, die keine jagdlich nutzbaren Grenzen zur Feldmark zu bieten haben.
Keiler, Hirsche und anderes Grosswild
Jäger, die um die Launen der Natur und damit das oft rätselhafte Verhalten des Wildes wissen, sind auch nicht enttäuscht, wenn sich der erhoffte Jagderfolg nicht einstellen wollte. Wer dagegen Jagen mit Geschäftemachen gleichstellt, wo für jede Leistung mit einer Gegenleistung fest gerechnet wird, findet in der Natur und ihren Geschöpfen nicht den richtigen Partner. Dazu kommt, dass in wilden, das heisst unerschlossenen Gebieten auch das Wild «wilder», unsteter und in geringer Zahl vorhanden ist. Wer füttert schon im Pamir den Argali, den Elch in Kanada oder den Bären in Sibirien. Wenn der «Sechs-Uhr-Sechser» im Mai nicht wie gewohnt in den Klee zieht, war vielleicht die Hege von vier Jahren für die Katz. Wird dann eine Rechnung über den Aufwand an Hege, Zeit und Kilometer gegen 40 Pfund Wildbret und 350 Gramm Trophäengewicht «aufgemacht», fällt die Bilanz für den in kaufmännischen Kategorien denkenden Jäger zwangsläufig negativ aus.
Die Jagd in anderen Ländern wird häufig nicht unter dem Aspekt betrieben, andere Landschaften, Tiere und Menschen kennenzulernen, sondern um dort, ob pauschal oder gegen Aufpreis, die stärksten Stücke zu erlegen. Dabei ist es für viele Jagdführer unverständlich, wie anspruchsvoll, aber auch unbeherrscht, und zum Teil sogar unverschämt, die Jäger aus dem deutschsprachigen Raum sein können. Rückforderungen von Reisekosten werden wegen Erfolglosigkeit erhoben, als wenn Tante Frieda in Mallorca die Aussicht zum Meer verbaut war. Manche Dinge lassen sich weder für Geld kaufen noch rückvergüten. Ein Hirsch mit exakt acht Kilogramm Geweihgewicht lässt sich allenfalls im Gatter totschiessen, wenn vorher auf der Viehwaage das Lebendgewicht mit den vorjährigen Abwurfstangen «verrechnet» wird. Derlei war beim König der Wälder (vielleicht noch) in Ungarn möglich, lässt sich aber weder auf den asiatischen Maral noch auf den nordamerikanischen Wapiti anwenden.
Oft sind die Erleger tief enttäuscht, wenn es zu Weltrekord wegen einiger hundert Gramm nicht gereicht hat. Es ist eben etwas anderes, in freier Natur zu jagen, oder den Trophäenträger «à la carte» im Kleingehege zu exekutieren. Sicher an der Wand hängend, lässt sich alles als «schwer erkämpft» deklarieren und nur die Qualität des Mauerhakens lässt Rückschlüsse auf das Gewicht zu, während sich mittels des zufällig bereitliegenden Zollstockes die Auslage und Stangenlänge millimetergenau ermitteln lässt.
Mit dem Hund jagen
Jagd ist nie verlorene Zeit, ob etwas erlegt wurde oder nicht. Die ständige Begleitung durch einen vierläufigen Jagdkameraden ist fast eine Garantie für diese Behauptung. Wer, aus welchen Gründen auch immer, keinen Hund mehr führt, vermisst diesen meist schmerzlich. Es hängt allerdings davon ab, wie der Hund abgeführt wurde. Nichts gegen das Einschalten eines professionellen Abrichters, aber dem Besitzer entgehen die einzelnen Lernphasen und damit fehlt ihm die Basis für das Verständnis im Falle des vermeintlichen Versagens. In der Prägezeit stellt sich der Hund sehr auf die Bezugsperson ein. Ein Wechsel in den Halter- und Umfeldbedingungen kann jede Hundeseele, gleich welchen Alters, ganz massiv aus dem Gleichgewicht bringen. Zeit haben und Zeit aufbringen ist eine der Voraussetzungen für die Harmonie zwischen Führer und Hund. Zugegeben, nicht jeder Jäger hat «Hundeverstand», dieser Mangel lässt sich jedoch durch die Fremdausbildung nicht ausgleichen. Funktioniert die Geschichte nicht, war der Abrichter ein Scharlatan, hat mit Gewalt den Hund «gebrochen» oder die papiermässigen Anlagen wegdressiert, anstatt diese zu fördern. Für einen Prozess wird unter Umständen ein Mehrfaches an Zeit und Geld aufgewendet, als wenn die Abführung in Eigenregie oder unter Mitwirkung eines kundigen Jagdfreundes erfolgt wäre. Auch der beste Jäger kann die Kugel nicht zum Wild tragen. Wird, trotz gewissenhafter Schussabgabe eine Nachsuche erforderlich, wird zwar vom Nachsuchengespann erwartet, Zeit zu haben und zu opfern, der Schütze selbst «muss» entweder schnell wieder nach Hause, ins Büro oder zum Flugplatz. Jagdliche Zeitplanung muss auch entsprechende Zeitreserven einschliessen.
Wer Wild erlegen will oder muss, darf sich bietende Gelegenheiten nicht ungenutzt lassen. Zeitlich ist es zweifelsohne bequemer, am Morgen den erlegten Bock zur Strecke zu legen, als abends, dazu noch bei Regenwetter, die Geiss-/Kitzdoublette versorgen zu müssen. Wer gegebene Chancen wegen zu erwartender Unpässlichkeit nicht wahrnimmt, braucht sich nicht zu wundern, zum Beispiel mit dem Abschussplan nicht fertig zu werden.
Doch machen wir uns keinen zu grossen Stress. Jagd ist nur sehr begrenzt planbar. Und wir treten weitaus öfters vom Hochsitz den Heimweg ohne Beute an, als beim Stammtisch über Jagderfolge geprahlt wird. Trotz vielen Wissens über Jagdstrategien und über Wildbiologie muss uns die Jagdgöttin Diana wohlgesonnen sein. Sonst wird der Lauf unserer Büchse blank bleiben.
Ich habe aus dem jagdlichen Bekanntenkreis gehört, dass in den USA, wo die Lizenzjagd während einer Jagdsaison auf nur wenige Stück Wild pro Jäger beschränkt ist, viele Jäger schon entfernungsmässig auf die Urlaubszeit festgelegt sind. Bleiben sie erfolglos, was das Los eines jeden Jägers sein kann, sagen sie ohne Bitterkeit: «I had a good time.» Mich in diesem Sinne anzuschliessen, ist mir sehr selten schwergefallen.
Text: Andreas Hausser
Bild: Rafal Lapinski
Möchten Sie weiterlesen?
Der von Ihnen gewünschte Artikel ist für Abonnenten kostenlos, für alle anderen kostenpflichtig. Um weiterzulesen, müssen Sie sich als Abonnent anmelden oder den Artikel kaufen.