«Die Natur nutzen, aber nicht übernutzen »
Daniel Godli war 37 Jahre als Wildhüter im Kanton Graubünden tätig. Ende Juni wurde der Bezirkschef des Oberengadins und Bergells pensioniert. Im Gespräch mit JAGD&NATUR erzählt er von seinen prägenden Erlebnissen.
Sein halbes Leben war Daniel Godli Wildhüter und Bezirkschef im Jagdbezirk 7 und 8.1 im Kanton Graubünden, genauer gesagt im Oberengadin und im Bergell. Er widmete sein Dasein dem Wild und der Natur. Die Betreuung der Steinbock-Kolonie Albris in Pontresina gehörte mit zu seinen Aufgaben. Am 30. Juni war sein letzter Arbeitstag und er verabschiedete sich in den verdienten Ruhestand. Ein Grund, mit ihm über seine Tätigkeit und die Zukunft zu sprechen.
Wie alles begann
Daniel Godli kann als Engadiner Urgestein bezeichnet werden. Der 65-Jährige wuchs in Samedan auf und wohnt mit seiner Familie seit 1985 in Pontresina. In seiner Freizeit fuhr er begeistert Ski und widmete sich bereits früh der Bündner Jagd. Eine Familientradition, die nun auch seine beiden Söhne weiterführen.
Sein beruflicher Werdegang begann als Bergführer und Skilehrer. Als die Stelle zum Wildhüter im Oberengadin Mitte der 1980er-Jahren ausgeschrieben war, musste Daniel Godli nicht lange überlegen. Sein Interesse war gross und er brachte als Berggänger, Jäger und Skifahrer alle wichtigen Voraussetzungen mit sich. So kam es, dass er mit 28 Jahren am 1. Mai 1986 die Stelle als Wildhüter antrat. Eine Handlung, die sein Leben für die nächsten 37 Jahre beeinflusste.
Faszination Steinbock
Einen normalen Arbeitsalltag gab es für Daniel Godli nicht. «Die Tätigkeit war jahreszeitlich abhängig», so der Pontresiner. «Es war eine sehr vielfältige Arbeit.» Unzählige Stunden verbrachte er in der Natur. «Am Anfang hat man sich fast nicht getraut freizunehmen. Wir waren Vollblut-Wildhüter und haben für das gelebt», sagt Daniel Godli. «Aber ich bereue keine Stunde, die ich in der Natur verbracht habe.»
Der 65-Jährige machte sich unter anderem als Steinbock- Experte einen Namen. Er bestätigt: «Mein Beruf hatte viel mit dem Steinbock zu tun.» Pontresina wurde unter anderem auch bekannt durch die Kolonie Albris, die Daniel Godli in den letzten 37 Jahren intensiv betreute. Die Kolonie zählt rund 1700 Tiere und gehört zu den grössten der Schweiz. «In meinen ersten Jahren als Wildhüter fand in Pontresina der ‹Einfang› der Steinböcke noch statt. Das heisst, hier wurden die Tiere eingefangen und andernorts wieder ausgewildert.» Zudem wurden in der Kolonie Albris zahlreiche Projekte zum Steinbock durchgeführt, die Daniel Godli als zuständiger Wildhüter begleitete. Ebenfalls leitete er die Ausbildung der Wildhüter im Bereich der Immobilisierung beziehungsweise Narkotisierung von Wildtieren. Am Steinbock liess sich dies am besten durchführen. «Das Tier hat mich im Vergleich zu allen anderen Wildarten immer sehr fasziniert. Ich ging auf viele Touren und habe die Tiere tagelang beobachtet.» Mit Stolz sagt Daniel Godli, dass er die Kolonie Albris bei seiner Pensionierung so zurücklassen konnte, wie er sie bei seinem Antritt antraf. Eine grosse Genugtuung war der Abschiedsbesuch des eidgenössischen Jagdinspektors Reinhard Schnidrig, der sich bei Daniel Godli für dessen Betreuung der Kolonie bedankte.
Was dem Pontresiner im Verlauf der letzten Jahre auffiel, ist, dass die Störung der Wildtiere stark zugenommen hat. Nicht nur am Tag, sondern vor allem in der Nacht. Das Campieren ist eigentlich nur auf öffentlichen Plätzen erlaubt. «Man sieht aber immer wieder im Gebiet Camper und Personen, die frei zelten. Der Steinbock zieht daher im Sommer in ruhigere Gebiete», erklärt er. «Auch wenn man meint, es macht ihnen nichts aus – sie wollen trotzdem ihre Ruhe. Und andere Wildarten sind noch empfindlicher als der Steinbock.» Die Situation betrachtet Daniel Godli als zweischneidiges Schwert. «Es ist ja gut, dass die Leute raus in die Natur gehen. Sie sollen einfach einen gewissen Abstand und Respekt gegenüber den Tieren und der Natur einhalten.»
Prägende Erlebnisse
Wie bei jeder Tätigkeit, so gab es auch in seiner Zeit als Wildhüter Höhen und Tiefen. An einige Schlüsselerlebnisse kann sich Daniel Godli bis heute deutlich erinnern. Als erstes Beispiel nennt er die Gämsblindheit. Wie die Tiere aufgrund der Krankheit abstürzen und wie viele Abschüsse getätigt werden mussten, sei sehr prägend. «Wenn man so viele Tiere von ihrem Leid erlösen muss, dann hat das nichts mehr mit Jagd oder Jagdfreude zu tun», so der Pontresiner.
Eine weitere erinnerungswürdige Erfahrung war, als er von einer Lawine verschüttet wurde. «Wenn du in eine Lawine kommst, dann hast du offensichtlich einen Fehler gemacht, obwohl du vorsichtig warst. So ist mir das auch als Profi passiert», sagt der 65-Jährige. Glücklicherweise lag er nicht weit unter der Schneedecke und er konnte sich selber wieder befreien. «Irgendjemand hat wohl gesehen, dass eine Spur reinging, aber nicht mehr raus. Diese Person hat dann die Rega alarmiert», erzählt er. «Als ich aus der Lawine kam, wollte ich sogar noch mit den Skiern runterfahren. Aber da kam gleich die Rega und lud mich auf.» Ein Glück, denn der Pontresiner wies bei seiner Einlieferung ins Spital gerade mal 29 Grad Körpertemperatur auf. Er lag drei Tage im Spital.
Der Wildhüter war im Jagdbezirk 7 und 8.1 des Kantons Graubünden, genauer gesagt im Oberengadin und im Bergell, der Bezirkschef. (Bild: Nathalie Homberger)
Arbeitsintensive Zeit
Die Zusammenarbeit mit den Bündner Jägerinnen und Jägern habe in den letzten Jahren sehr gut funktioniert, so Daniel Godli. «Die Verabschiedung von der Jägerbasis hat mir gezeigt, dass es ein wirklich gutes Verhältnis war.» In seiner Zeit als Wildhüter hatte vor allem die Wald-Wild-Problematik viel Konfliktpotential. «Ein guter Wildhüter ist für das Wild da, ein guter Förster für den Wald», erklärt er und zeigt daher ein gewisses Verständnis. Gerade in Pontresina gab es Diskussionen rund um den Steinbock und den Wald. Die Situation habe sich aber seit der Vermarktung durch Graubünden und insbesondere durch die Gemeinde Pontresina massiv verbessert.
Die Jagdzeit war für den Wildhüter die arbeitsintensivste Zeit. Er selbst konnte die Jagd jedenfalls nicht mehr im gleichen Masse geniessen. «Das hat nichts mehr mit Freizeit zu tun. Es ist einfach Arbeit. Die Hoch-, die Steinbock- und die Sonderjagd – das sind sehr intensive Monate.» Daniel Godli glaubt, dass den Wildhütern im Kanton Graubünden die Arbeit sicherlich nicht ausgehen wird. «Eine grosse Herausforderung heute ist das Thema rund um die Grossraubtiere. Das beansprucht viel Zeit, und das sicherlich auch in Zukunft», meint er. Er selbst hatte bis zu seiner Pensionierung nicht mehr viel mit den Prädatoren zu tun. Er war jedoch als
Immobilisierungsspezialist an vorderster Front dabei, als die Bären zurück in die Schweiz kamen. «Ich war der Wildhüter, der den ersten Bären immobilisiert hatte». Er gehörte damals zur Einfanggruppe, um «Problembären» einzufangen. Den Bären wurde ein Halsbandsender angebracht, damit man sie besser überwachen konnte und eventuell auch Vergrämungsaktionen durchführen konnte. Leider konnte man diese Bären nicht umerziehen, und diese wurden später aus Sicherheitsgründen erlegt. Einige Nächte war die Gruppe, welche Unterstützung von einem Experten aus Trentino erhielt, in der Region Alvaneu unterwegs und versuchte, den Bären mit einer Schlingenfalle einzufangen. Damit hatten sie aber keinen Erfolg. So holten sie beim Bund die Erlaubnis ein, bei einem erneuten Auftauchen des Prädators, mit Hilfe eines Helikopters den Narkosepfeil anzutragen. Dieser Fall trat gewisse Zeit später tatsächlich ein und die Einfanggruppe konnte den ersten Bären, der seit anfangs des 20. Jahrhunderts wieder seinen Fuss in die Schweiz setzte, im Gebiet «Ela» immobilisieren. «Das war ein prägendes Erlebnis. Der erste Bär…», erinnert sich Daniel Godli zurück. «Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich noch einen Bären immobilisiere.» Gesamthaft narkotisierte er im Laufe seiner Karriere drei Bären.
Jagdplanung soll Rahmen sein
Für seine eigene Zukunft hat Daniel Godli sehr bescheidene Wünsche: «Ich hoffe, dass ich gesund bleibe und noch lange Bergtouren absolvieren und skifahren kann. Ich fahre für mein Leben gerne Varianten- und Tourenski.» Zudem hat er seit neuestem eine weitere grosse Beschäftigung. «Meine Tochter hat sich ein Ferienlager gekauft. Ich bin dort stark engagiert und helfe ihr beim Umbau.» In Gedanken ist er von Zeit zu Zeit natürlich immer noch bei seiner alten Arbeitsstelle. Auch nach seiner Pensionierung wird er noch viel in der Natur anzutreffen sein. Jedoch pausierte er dieses Jahr während der Hochjagd und gönnte sich eine jagdfreie Zeit.
Für die Zukunft des Bündner Wildes wünscht er sich, dass diesem Sorge getragen wird. «Was mich beunruhigt, ist die Sonderjagd, beziehungsweise dass diese so intensiv ausgeführt werden muss. Dadurch wird das Wild, gerade das Hirschwild, immer scheuer und schwieriger zu bejagen», sagt Daniel Godli. In den letzten Jahren sei es für ihn schwierig zu verstehen gewesen, dass es eine «Abschusszahl Graubünden» gibt. «Man sollte nicht so fest auf die Abschusszahl Graubünden schauen, sondern die Zahlen der einzelnen Regionen viel stärker gewichten», sagt er. Die Jagdplanung soll seiner Meinung nach mehr der Rahmen sein. Ob es schlussendlich dann 10 Tiere zu viel oder zu wenig sind, spiele aus seiner Sicht eine untergeordnete Rolle.
Dem ehemaligen Wildhüter ist zudem aufgefallen, dass die ganze Jagdplanung, welche früher sehr stark von den Wildhütern mitbestimmt wurde, heute vorwiegend von Wissenschaftlern und Biologen getätigt wird. Die Wissenschaft kenne aus seiner Sicht aber die örtlichen Verhältnisse zu wenig. Vielfach werden in der ganzen Jagdplanung der Faktor Mensch beziehungsweise die Bereitschaft der Jägerschaft und vor allem die langjährigen Erfahrungen der Wildhüter zu wenig berücksichtigt und die Wald-Wild-Probleme werden stark überbewertet.
«Man soll die Natur nutzen, aber nicht übernutzen», gibt Daniel Godli mit auf den Weg. «Mit dieser Einstellung bin ich immer gut durchgekommen.»
Text: Nathalie Homberger
Hauptbild: zVg.
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